Wie ich in der letzten Kolumne (März 2017) ausgeführt habe, gehören die Abschlüsse der Höheren Berufsbildung (HBB) bezogen auf Schutz vor Arbeitslosigkeit und Vorbereitung auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes zu den leistungsfähigsten formalen Bildungsabschlüssen. Sie richten sich – im Unterschied zu Hochschulabschlüssen – an Berufsfachleute, welche bereits über zwei- bis mehrjährige Berufserfahrung verfügen. Weltweit ist dieses Teilsystem des Schweizer Bildungssystems einzigartig. Die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft und der damit einhergehende Ruf nach Vergleichbarkeit von Titeln fordern dieses Teilsystem heraus, weshalb dieser Artikel mögliche Lösungen diskutiert.
Die Höheren Berufsbildungsabschlüsse umfassen Diplome der Höheren Fachschulen (HF) sowie für Eidg. Berufs- und Höhere Fachprüfungen. Sie haben in der Schweiz eine sehr lange Tradition, die weit bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückgeht. Im gewerblich-industriellen Wirtschaftssektor werden Höhere Fachprüfungen heute hie und da noch als «Meisterausbildungen» bezeichnet, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass es sich hier um die höchsten Abschlüsse in diesen Branchen handelt. Während sie im dritten Berufsbildungsgesetz von 1980 noch als Abschlüsse der «beruflichen Weiterbildung» bezeichnet wurden (Rehbinder 1981), gelten sie seit dem jüngsten Berufsbildungsgesetz von 2004 als eigenständige formale höhere Bildungsabschlüsse und grenzen sich von der non-formalen Weiterbildung (dem Kurswesen) ab. Wie der Bildungsbericht Schweiz zeigt, weisen diese Abschlüsse eine ausgesprochen hohe Leistungsfähigkeit bezüglich Erwerbsfähigkeit und Bildungsrendite aus (SKBF 2010). Deshalb werden ihre Absolventen vom Arbeitsmarkt in der Schweiz als hochqualifiziert gewertet und entsprechend stark nachgefragt.
Schwierigkeiten im Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt entstehen erst, wenn HR-Chefs oder Linienverantwortliche von internationalen Firmen in der Schweiz oder im Ausland diese Abschlüsse nicht kennen und damit nicht mit denjenigen, welche sie im Heimatland haben, vergleichen können. Da nur wenige Länder über ein höheres formales Berufsbildungswesen verfügen, wird rasch der Ruf laut, sich dem ausländischen Titelsystem anzupassen, das heisst einen «Professional Bachelor» oder «Professional Master» einzuführen, um auf dem globalen Arbeitsmarkt die Chancen auf anspruchsvolle Stellen zu verbessern. Doch wie die folgenden Ausführungen zeigen, führt ein solcher Weg nicht zum erwünschten Erfolg.
HR-Chefs: Kenntnisse zwischen Ausländern und Schweizern unterscheiden sich
Verschiedene Hinweise aus der Praxis deuten darauf hin, dass ausländische HR- oder Linien-Verantwortlichen unsere HBB-Abschlüsse zu wenig gut kennen. Beispielsweise habe ich erfahren, dass in einzelnen Banken Eidg. dipl. Finanzplaner nicht mehr willkommen seien, weil ausländische Bankkunden nicht wissen, was dies für ein Abschluss ist. Sie verlangen nach Fachleuten mit Titeln, die sie kennen, wie ein Bachelor- oder Masterabschluss, was allerdings keine Garantie für eine bessere Kundenberatung wäre. Das Grundproblem liegt darin, dass Titel allein wenig über die Qualifikation und die Qualität der Ausgebildeten aussagen. Arbeitszeugnisse sind mitunter geradeso aussagekräftige Quellen, weil sie aufzeigen, welche Berufserfahrung jemand sammeln konnte und wie seine Leistung von Vorgesetzten beurteilt wird.
Klagen hört man nicht nur von inländischen Absolventen. Wie die SRF-Radiosendung «Wenn die Globalisierung vor Diplomen halt macht“ zeigt, bekunden gerade ausländische Universitätsabsolventen hie und da Mühe, in der Schweiz eine entsprechende Arbeit zu finden. Die Gründe liegen nebst allfälligen Sprachdefiziten meist in der fehlenden qualifizierten Berufspraxis, das heisst, Berufspraxis welche mit dem Erlernten übereinstimmt. In vielen Ländern erfolgt die Berufsbildung an Hochschulen, weil sie keine Institutionen der höheren Berufsbildung haben und auch keine einschlägigen Berufsbildungswege auf der Sekundarstufe II. Sie erwerben also einen Hochschulabschluss, jedoch fehlt ihnen die Praxiserfahrung. Mit anderen Worten: wo «Bachelor/Master» darauf steht, ist nicht immer ein Akademiker dahinter. Der Akademikerbegriff ist eine soziale Konstruktion. Seine inhaltliche Bestimmung muss im Kontext des nationalen Bildungssystems verortet werden.
Funktionsunterschiede zwischen Schweizer Hochschul- und Höheren Berufsbildungs-Abschlüssen
Die Schweizer Hochschulabschlüsse unterscheiden sich funktional von den Abschlüssen der Höheren Berufsbildung in mehrfacher Hinsicht. Fünf Funktionsunterschiede sind in folgender Tabelle für die Schweiz skizzenhaft zusammengefasst:
Im Schweizer
Bildungsrecht sind die Bachelor- und Mastertitel dem Hochschulwesen
zugeordneten und durch das Hochschulrecht geregelt. Die Titel der Höheren
Berufsbildung sind im Berufsbildungsgesetz festgelegt. «Professional Bachelor-
oder Mastertitel» gibt es nicht. Das Bundesparlament hat einen Vorstoss dazu
bereits abgelehnt (Ständerat 2014). Eine Einführung müsste nicht nur politische
und juristische Hürden überwinden, sondern würde auch kaum sein Ziel der
besseren Vergleichbarkeit von Abschlüssen erreichen. Es wäre eine dritte Form
eines Bachelor- oder Master-Abschlusses, neben Universitäts- und
Fachhochschulabschlüssen. Es ist zu erwarten, dass Hochschulen sich diesem
Titel gegenüber abgrenzen würden, indem sie die Institution – z.B. Universität
– in den Titel aufnehmen. Vergleichbares ist heute bei den Professorentitel in
Deutschland bereits erkennbar.
Lesen Sie im nächsten Teil (3)
- Woher kommt das Streben nach
Bachelor bzw. Mastertiteln?
- Welche Lösung führt zum Ziel?
Ursula Renold leitet den Bereich «Bildungssystemforschung »
an der Konjunkturforschungsstelle KOF (ETHZ). Sie ist Präsidentin des
Fachhochschulrates der FHNW und Honorarprofessorin an der Hochschule der Bundesagentur
für Arbeit, Mannheim (D).