Höhere Berufsbildung Schweiz (3) –
Bachelor bzw. Master?
Im letzten Beitrag wurde die Tradition der Höheren Berufsbildungsabschlüsse in der Schweiz beleuchtet (Diplome HF und Eidg. Berufs- und Höhere Fachprüfungen) und Funktionsunterschiede zwischen Schweizer Hochschul- und Höheren Berufsbildungsabschlüssen beschrieben. Im dritten Teil der Serie werden Überlegungen über Prestige als Motiv für Bachelor- und Mastertitel und über Lösungswege gemacht.
Woher kommt das Streben nach Bachelor bzw. Mastertiteln?
Prestige ist ein wichtiges Motiv in dieser Frage. Wie ich im Artikel «Welche Akademikerquote brauchen wir?» (Renold 2016) aufgezeigt habe, wird akademische Ausbildung in vielen Ländern mit hohem Berufsprestige, und damit einhergehend mit höherem Status und Lohn assoziiert. Deshalb entsteht der Ruf nach einem irgendwie gearteten Hochschulabschluss. Viele Menschen versprechen sich von einem Bachelor- oder Master-Titel - als Signal an die Arbeitgeber - bessere Arbeitsmarktchancen (Spence 1973). Dies ist ein Trugschluss, denn Berufserfahrung, Soft Skills und Leistungsausweis in der Praxis sind immer wichtigere Faktoren, um eine Stelle zu erhalten.
Wird die Anzahl Hochschulabschlüsse durch „Akademisierung“ von Studiengängen erst einmal erweitert, so kommt der „Fahrstuhl-Effekt“ (Beck 1986) zum Tragen. Dieser besagt, dass mit der Ausweitung der akademischen Titel auf mehr Menschen in der Gesellschaft die Fahrt nach oben, d.h. zu höherem Berufsprestige, Status und Einkommen, ermöglicht wird. Was ausgeblendet wird, ist das Faktum, dass damit gleichzeitig eine Entwertung dieser Abschlüsse erfolgt, weil der Arbeitsmarkt nicht so viele Personen dieser Kategorie nachfragen wird. Es entsteht „Skills Mismatch“. Ausserdem setzen Betriebe bei einer Titelinflation auf andere Instrumente als Titel, um geeignete Qualifizierte zu rekrutieren. «Wer auf der Strecke bleibt, nimmt den Fahrstuhl nach unten...» (Renold, 2015, S. 956).
Grafik 1: Stellenmarkt-Monitor Schweiz – Trends in den Anforderungen des
Arbeitsmarktes 1950-2014 (Quelle: Egg/Renold, 2015)
Der Stellenmarkt Monitor der Universität Zürich zeigt (Grafik 1), dass der Arbeitsmarkt neben tertiärer Bildung auch hochqualifizierte praktische Expertise benötigt. Die Nachfrage nach Berufserfahrung gehört zu den mächtigsten Trends im Schweizer Arbeitsmarkt und schützt am besten vor Arbeitslosigkeit. Was die HBB also braucht, ist nicht einen funktionsfremden Titel, sondern eine gleichwertige gesellschaftliche Wertschätzung. Denn ihre Absolventen tragen dazu bei, dass wir in der Schweiz keinen hohen Skills Mismatch haben, dass die Arbeitslosenrate vergleichsweise tief ist und Innovationen dank hoher Praxisexpertise und Qualität vorangetrieben werden können.
Welche Lösung führt zum Ziel?
Der Ausweg aus dem Titel-Dilemma in der Höheren Berufsbildung soll nicht über einen weiteren akademischen Titel gelöst werden. Die Schweiz würde Fehlentwicklungen in anderen Ländern nachahmen und könnte nicht zum erwünschten Segen beitragen. Um diesem Problem zu begegnen, hat der Bund den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) eingeführt. Dieser erlaubt, die HBB-Abschlüsse transparent in ein Stufensystem einzuordnen und deren Qualifikation gegenüber dem Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) vergleichbar zu machen. Es versteht sich von selbst, dass ein höchster Abschluss in einer nationalen Berufsbranche, wie beispielsweise der Eidg. Diplomierte Wirtschaftsprüfer oder Steuerexperte auf der höchsten Stufe dieser Skala eingeordnet werden sollte, analog zum höchsten Abschluss in der „Berufsbranche der Wissenschaftler“. Mit einem Diplomzusatz in Englisch wird erklärt, welche Kompetenzen erworben worden sind, womit die Transparenz gegenüber dem Ausland hergestellt wird. Es braucht also keine neuen Titel, sondern einzig diese Transparenz gegenüber den Abschlusssystemen im Ausland.
Alle sind aufgefordert Aufklärungsarbeit nach Innen und Aussen zu leisten, so dass die beeindruckenden Arbeitsmarkt-Effekte dieses wichtigen Teils des Bildungssystems Schweiz bekannt werden und Nachahmer finden. Demnächst führt mich ein Forschungsprojekt nach Singapur. Ob und wie weit es mir gelingt, diesen Bildungsfachleuten die Vorteile unseres formalen Höheren Berufsbildungswesens schmackhaft zu machen, werde ich in der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift beleuchten.
Literatur
- Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne,
Frankfurt am Main.
- Egg, M. and U. Renold (2015): The Swiss Vocational Education and Training System: What Can Spain Learn from Switzer- land?, KOF Working Papers No. 383, June, Zurich,
S. 7.
- Renold, U. (2015),
Welche Akademikerquote brauchen wir? Über den Umgang
mit Fuzzy Boundaries in internationalen Bildungssystemvergleichen. In: Amstutz, H., Dorn, A., Müller, M., Ronsdorf, M., Uljas, S. (eds). Fuzzy Boundaries: Festschrift für Antonio
Loprieno. Hamburg. Widmaier Verlag. S. 941-963.
- Rehbinder, Manfred, and Suisse. BBG : Berufsbildungsgesetz : das
Bundesgesetz über die Berufsbildung mit Verordnung, erläuternden Auszügen aus
den Gesetzesmaterialien und
Musterverträgen für Lehre und Anlehre, weiteren Materialien und Sachregister.
Zürich: Orell Füssli, 1981.
- SKBF 2010, Bildungsbericht Schweiz 2010.
Aarau: Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung.
- Spence, M. (1973): Job
Market Signaling, in: Quarterly Journal of Economics 87/3, 355–374.
- Ständerat 2014: Motion Aebischer Matthias, Titeläquivalenz für die
höhere Berufsbildung, Amtliches Bulletin, Wortprotokoll des Ständerates zur
Motion Aebischer Matthias (12.3511).
- SRF Tagesgespräch vom 11. Januar 2017: „Wenn
die Globalisierung vor Diplomen halt macht“. Link: http://www.srf.ch/sendungen/tagesgespraech/ursula-renold-wenn-die-globalisierung-vor-diplomen-halt-macht
Ursula Renold leitet den Bereich «Bildungssystemforschung » an der Konjunkturforschungsstelle KOF (ETHZ). Sie ist Präsidentin des Fachhochschulrates der FHNW und Honorarprofessorin an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit, Mannheim (D).